Streicheleinheiten

Verfasser: Dr. Jürgen Zeplin, Berlin

Stellen wir uns unseren Vater Robert wieder vor. Er verläßt das Haus und trifft vor dem Haus den Gärtner. "Hallo Herr Müller, guten Morgen!" sagt er und der Gärtner sagt: "Guten Morgen, Herr Schneider!." Beide haben gerade eine Streicheleinheit ausgetauscht. Wenn Vater Robert jetzt noch sagt: "Es wird Regen geben" und der Gärtner sagt: "So schlimm wird es nicht werden", haben beide den Vorgang wiederholt. Die Welt ist in Ordnung, die Balance stimmt, es herrscht "Streichelgleichgewicht" und jeder kann seiner weiteren Tätigkeit nachgehen.

Berne bezeichnet Streicheln als eine "Anerkennungseinheit", die den anderen, seine Gegenwart, beachtet oder auch mißachtet. Denn wenn der Gärtner auf den Gruß von Vater Robert gar nicht reagiert und den Kopf weiter in seine Arbeit vergräbt, fängt er an zu grübeln. Was hat der denn, hat er mich nicht gesehen, habe ich ihm etwas getan? So wird es ihm durch den Kopf gehen. Er erlebt das Ausbleiben von Streicheleinheiten als Mangel, weil wir Menschen sie eben so dringend zum Leben brauchen. Das Verhalten des Gärtners ist eine Überkreuztransaktion ohne Worte.

Unser Vater Robert ist heute früh nicht gleich zur Arbeit gefahren, sondern erst zum Arzt. Hier muß er noch warten und nimmt deshalb im Wartezimmer Platz. Weil er allein im Zimmer ist, setzt er sich außerordentlich bequem in seinen Stuhl und blättert in einer Zeitschrift. Plötzlich klingelt es draußen, Fußtritte trappeln hin und her und die Tür öffnet sich, eine attraktive junge Dame tritt ein. Robert Schneider verändert seine legere Sitzposition und beantwortet das "Guten Morgen" der Eintretenden. Er tauscht noch einen Blick aus, ein freundliches Lächeln, das auch erwidert wird und vertieft sich wieder in seine Zeitschrift.

Soeben sind mehrere Streicheleinheiten ausgetauscht worden. Erst hat der Vater Robert seine Sitzposition als nicht angemessen aufgegeben und sich für sie in eine einladendere Sitzposition begeben. Durch diese Reaktion hat er die Anwesenheit der Dame beachtet, dann hat er die Begrüßung der Dame höflich beantwortet und durch sein Lächeln das Lächeln der Dame erwidert. Sie wird sich in Gesellschaft von Vater Robert im Wartezimmer wohl fühlen. Wenn er ins Behandlungszimmer gerufen wird und er macht der Dame gegenüber eine Geste des Abschieds und sie nimmt die Geste an und erwidert sie, ist die Welt für beide in Ordnung und sie fühlen sich wohl.

Wie aber wäre die Welt in dem Wartezimmer, wenn Vater Robert regungslos in seiner Sitzposition verharrt, den Gruß mit einem gemurmelten "Morjen" quittiert und den Blickkontakt der Dame ignoriert und ihr freundliches Lächeln damit natürlich auch nicht sieht? Bei der Dame, die sich nun nicht wohl fühlt in der Gesellschaft von Vater Robert, werden Gedanken ausgelöst, was ist denn das für einer, wie der da in seinem Stuhl hängt. Vielleicht hat Vater Robert sich noch abgewendet und beachtet die Attraktivität der Dame nicht, die sie natürlich kennt und gerne beachtet wissen möchte, ist der Morgen für sie ein Mißerfolg.

In gewisser Hinsicht ähnelt der Austausch von Streicheleinheiten einem Geschäft, bei dem die einzelnen die Geschäftsbedingungen individuell vorgeben. Wichtig ist das Gleichgewicht, das natürlich von den Erwartungen und den üblichen Konventionen abhängt. Hätte Vater Robert versucht, die Dame in ein von ihr nicht gewolltes Gespräch zu verwickeln, ihr Komplimente gemacht, umgangssprachlich ausgedrückt angebaggert, hätte die Beziehung zwischen beiden vielleicht eine Störung erfahren. Denkbar wäre aber auch, daß die Dame diese Streicheleinheiten, selbst wenn sie dick aufgetragen sind, gerne angenommen hätte.

Arten von Streicheleinheiten

Es lassen sich verschiedene Arten von Streicheleinheiten unterscheiden, nämlich:

- verbale und nonverbale
- positive und negative
- bedingte und unbedingte

Streicheleinheiten.

Verbale und nonverbale Streicheleinheiten

Verbale Streicheleinheiten sind jede in Worten ausgedrückte Beachtung des anderen. Sie sind in den Transaktionen enthalten, die wir schon kennengelernt haben. So ist z. B. die Aussage: "Sie sind ein netter Kollege, ich arbeite gern mit Ihnen". ein schönes Beispiel. Das Gegenteil: "Mit Ihnen kann ich nicht zusammenarbeiten!" ist auch
eine Streicheleinheit, also eine Beachtung, in diesem Fall eine Mißachtung. Deutlich wird an jeder Transaktion als verbale Äußerung, hängt eine Streicheleinheit.

Wir haben bei den Transaktionen kennengelernt, daß auch Gesten, wie Brauenrunzeln, die Augen verdrehen, Transaktionen sind, die den anderen treffen oder zumindest zu Reaktionen veranlassen. Ein Lächeln des einen, erzeugt ein Lächeln des anderen. Ein Nicken erzeugt ein Gegennicken, eine Umarmung können nur zwei ausführen, die bereit dazu sind. So ließe sich die Liste der nonverbalen Streicheleinheiten beliebig fortführen.

Wenn ein Mitarbeiter zu einem Termin gebeten wird und pünktlich erscheint, ins Zimmer gebeten wird und ohne Gruß auf den Stuhl zum Warten verdammt ist, weil der Chef grußlos und hochkonzentriert telefoniert, sind, ohne daß ein Wort gesprochen wird, viele negative Streicheleinheiten ausgetauscht worden.

Wenn ein Mitarbeiter ins Zimmer des Chefs kommt und der eine Miene aufsetzt, die für den Mitarbeiter erschreckend ist, ist eine Transaktion abgelaufen und eine Streicheleinheit ausgetauscht worden. Wenn der Chef dagegen strahlt und dem Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung ankündigt, ist auch eine oder mehrere Streicheleinheiten ausgetauscht worden, diesmal aber positive.
                    
Positive und negative Streicheleinheiten
                    
Eben war schon von positiven und negativen Streicheleinheiten die Rede. Eine positive Streicheleinheit wird vom Empfänger als angenehm erlebt und eine negative dagegen als schmerzlich. Nun müßte man erwarten, daß die Menschen natürlich danach streben, möglichst viel oder nur positive Streicheleinheiten zu erhalten. Diese Annahme ist aber nicht richtig. Wir wollen dies wieder an einem Beispiel verdeutlichen.

Vater Robert war die ganze Woche auf Dienstreise, er mußte Baustellen besichtigen. Am Freitag kommt er spät und müde nach Hause. Erst legt er sich auf die Couch und liest in der Zeitung. Sein Sohn Moritz spielt derweil sehr laut, fast auffällig im Wohnzimmer mit seinen Autos. Sonst spielt er immer im Kinderzimmer. Die Geräusche des schweren Diesels, insbesondere, wenn er beschleunigt, aus

dem Kindermund nervt Vater Robert bald und er fordert ihn auf, diese Dieselrennen zu beenden. Dann wechselt Moritz eben das Spiel und wirft Flummies – eine glibberige Masse – gegen die Decke und fängt sie immer wieder auf, wenn sie herunterfällt. Als sie Vater Robert auf die Zeitung fällt, ist auch dieses Spiel beendet. Nunmehr verlegt er sich auf Klavierspielen. Aber Moritz ist weniger von der Musik angetan, sondern von dem Quietschen des Gewindes des Klavierstuhls. So muß er dauernd verschiedene Sitzhöhen ausprobieren, was immer von einem herzzerreißenden Geräusch begleitet wird, das bei Vater Robert die Zornesfalte anschwellen läßt.

Was läuft da ab? Der kleine Moritz hat die ganze Woche auf seinen Vater verzichten müssen, als er dann kam, hatte er auch keine Aufmerksamkeit für ihn mitgebracht. Vielleicht ein kleines Geschenk oder so, sonst brachte er immer etwas mit. Dann legt er sich einfach auf die Couch, anstatt sich ein wenig um ihn zu kümmern. Also versucht er sich bemerkbar zu machen, getreu der Regel: Lieber negative Streicheleinheiten, als gar keine! Dies tut er dann auch mit Erfolg. Der Streichel-Hunger ist wohl nach dem Stimulus-Hunger das stärkste psychologische Grundbedürfnis. Hier treibt es den kleinen Moritz an, anstatt einer liebevollen Umarmung und ein wenig Beachtung durch den Vater, eher eine Abreibung zu erhalten, als gar keine Beachtung.

Bedingte und bedingungslose Streicheleinheiten

Eine bedingte Streicheleinheit bezieht sich immer auf das, was ein Mensch tut oder nicht tut. Eine bedingungslose Streicheleinheit bezieht sich auf den Menschen direkt, was er ist. Beide können verbal und nonverbal erfolgen und positiv oder negativ sein.

Beispiele hierfür sind:

 

positiv bedingungslos:

"Ich mag Dich!"

positiv bedingt:

"Danke für’s Rückenkratzen!" oder allgemein: "Ich finde gut, wenn ...!"

negativ bedingt: 

"Ich mag Deinen Sarkasmus nicht!" oder allgemein: ”Ich mag nicht, wenn ... !"

negativ bedingungslos:

"Ich hasse Dich!"

                    
Diese können verbal gegeben werden, wie hier geschehen. Sie können aber auch nonverbal, wie Rückenzukehren, Übersehen, Augenverdrehen u. v. a. m. gegeben werden.


Das Streichel-Portfolio macht den Zusammenhang noch einmal deutlich:


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