Wie funktioniert die soziale Diagnose von Ich-Zuständen?

Verfasser: Dr. Jürgen Zeplin, Berlin

Durch Beobachtung eines Gegenübers kann man eine Verhaltensdiagnose anstellen. Durch Zuhören, was er sagt, kann man die sachinhaltsbezogene Diagnose anstellen. Die soziale Diagnose achtet darauf, welcher Ich-Zustand beim Gegenüber angesprochen wird und aus welchem er antwortet. Sie ist also nur im Kontakt möglich. Die Verhaltensdiagnose und die sachinhaltsbezogene Diagnose kann man auch bei beliebigen Menschen anstellen, die man einfach beobachtet.

Wir wollen uns diese Diagnoseform an einem Fallbeispiel eines Beurteilungsgesprächs ansehen.

Fallbeispiel:

Ein kaufmännischer Geschäftsführer möchte mit seinem neuen Controller das erste Beurteilungsgespräch führen. Im großen und ganzen ist er mit ihm zufrieden. Es gibt aber noch einige Dinge, die er in dem Gespräch ansprechen möchte.

Um uns in den Diagnoseformen ein wenig zu üben, schlüpfen wir in den kaufmännischen Geschäftsführer hinein fühlen wie er und lesen seine Gedanken.

Der Geschäftsführer sitzt in seinem Büro. Der Controller tritt ein, setzt sich und verschränkt seine Arme vor der Brust.

(Der Geschäftsführer zu sich selbst: Nanu, das ist ja wohl ein Zeichen von Angst, er möchte sich schützen. Das sieht so aus, als wäre er im fügsamen angepaßten Kind-Ich-Zustand – verhaltensbezogene Diagnose)


Das Gespräch beginnt

Geschäftsführer: "Herr Controller, Sie sind jetzt ein Jahr bei uns und ich bin mit ihrer Leistung im großen und ganzen recht zufrieden. Da gibt es aber doch einige Dinge, die ich mit Ihnen gerne besprechen möchte."

Der Controller wechselt nun seine Körperhaltung und legt den rechten Fuß auf sein linkes Knie.

(Der Geschäftsführer zu sich selbst: Offenbar hat er etwas gegen Kritik, obwohl ich ja noch gar nicht gesagt habe, daß ich Kritik an ihm üben will. Aber offenbar hat meine Aussage: Da gibt es einige Dinge, die ich mit Ihnen gerne besprechen möchte so verstanden. Die Haltung soll mir wohl sagen, ich brauche keine Kritik, ich bin empfindlich dagegen! Er ist noch im angepaßten Kind-Ich-Zustand, jedoch hat er jetzt in die rebellische Haltung gewechselt – verhaltensbezogene Diagnose)

Der Geschäftsführer fährt fort.

Geschäftsführer: "Die Mitarbeiter ihres Bereichs waren es unter ihrem Vorgänger gewohnt, sehr selbständig zu arbeiten. Ich habe nun verläßliche Aussagen, daß Sie sich von Ihnen eingeengt fühlen. Was meinen Sie dazu?"

 

Controller:     (leicht erregt) Das kann ich mir nun gar nicht vorstellen. Ich gebe ihnen alle Freiheiten, die sie wünschen."


Geschäftsführer: "Nun, Herr Controller, ich habe gesagt, ich hätte verläßliche Aussagen, daß einige ihrer Mitarbeiter  so empfinden."


(Der Geschäftsführer zu sich selbst: Das war keine Antwort auf meine Frage. Ich habe ihm gesagt, wie einige seiner Mitarbeiter seine Führung empfinden und er antwortet mir, daß er seinen Mitarbeitern alle Freiheiten gibt, die sie wünschen. Sollen wir uns nun über das Wesen von Mitarbeiterfreiheiten streiten? Das war nicht sein Erwachsenen-Ich-Zustand, das hätte meine Aussage über die Empfindungen einiger seiner Mitarbeiter als Tatsache hingenommen und sich später durch Befragen ein eigenes Bild verschafft. Er ist immer noch im angepaßten Kind-Ich – sachinhaltsbezogene Diagnose)


Der Controller verschränkt wieder seine Arme vor der Brust und neigt sich zurück, wie wenn er auf Distanz gehen will. Unwillkürlich neigt sich der Geschäftsführer in seinem Sessel auch zurück. Der Controller fährt fort.

Controller:
"Ich kann mir nur vorstellen, daß der Müller, der war ja wohl auf meinen Posten scharf, solche Sachen erzählt."

 

Geschäftsführer:
"Ich habe mir durch Gespräche einen hinreichen den Überblick verschafft und will Ihnen gegenüber auch keine Namen nennen, um ihre Beziehung zu Ihren Mitarbeitern zukünftig nicht zu belasten."

 

Controller:
"Der Müller ist aber ein Querulant. Der intrigiert ständig gegen mich. Vom ersten Tag an, war der gegen mich. Dabei hat er noch große fachliche Defizite. Es ist für mich ein Rätsel, wie Sie auf den hereinfallen können."


Geschäftsführer: 
"Ich bin nicht auf Herrn Müller hereingefallen. Bedenken Sie bitte, daß ich Ihre Mitarbeiter schon länger kenne, schon aus der Zeit vor Ihrem  Dienstantritt, schließlich habe ich den Bereich ja  einmal geführt."


Controller:
"Dennoch, ich muß noch einmal den Fall Müller ansprechen, wenn ich durch ihn in Mißkredit komme. Ich hätte von Ihnen schon mehr Verständnis und Beistand erwartet, gerade weil er ja auf meine Job aus war."


(Der Geschäftsführer zu sich selbst: Er fightet immer noch aus dem rebellischen angepaßten Kind-Ich, ignoriert vollkommen meine Aussage, daß Herr Müller hiermit nichts zu tun hat und beginnt noch mich zu kritisieren, wechselt zeitweilig ins kritische Eltern-Ich, weil ich kein Verständnis – wie er sagt – für ihn hätte und ihm keinen genügenden Beistand leiste. Ich glaube, er möchte mich aus dem Erwachsenen-Ich herausholen und ich soll ins kritische Elter-Ich wechseln – soziale Diagnose)

Und so gehen die Dinge ihren Lauf!

Geschäftsführer: 
"Herr Controller, Sie haben jetzt viel geredet. Auf das von mir angesprochene Thema wollten Sie nicht eingehen. Mir reicht es jetzt, wir führen das Gespräch ein anderes mal weiter."


(Geschäftsführer zu sich selbst: Ich bin doch blöd und lasse mich von dem hier so vorführen. Ich wollte ein Beurteilungsgespräch führen und was mache ich? Ich verteidige mich wegen meiner "Parteiname" für den Kollegen Müller. Dabei habe ich weder das getan, noch hat der Müller irgendetwas damit zu tun.....)


 

 


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