Labor 4: "Man sagt, unsere IT-Projektleiter vergraulen unsere Kunden!"
Verfasser: Dr. Jürgen Zeplin, Berlin
In diesem Labor finden sich fünf IT-Projektleiter aus einem mittelstädischen Softwareunternehmen zusammen. Sie bilden eine TA-Supervisionsgruppe, um unter Anleitung eines TA-Coaches Probleme zu bearbeiten, die in Folge ihrer Projekte beim Kunden auftreten und zu Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit und Konflikten führen. Gemeinsam akzeptiertes Ziel aller Projektleiter ist eine nachhaltige Erhöhung der Zufriedenheit ihrer Kunden.
Mitglieder der Gruppe sind:
- Bernd (38 Jahre) Informatiker mit 10-jähriger Erfahrung mit ERP-Systemen. Seit 6 Jahren als Projektleiter im Unternehmen tätig.
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Gaby (30 Jahre) Betriebswirtin, ausgebildete Agrarökonomin mit einer Umschulung zur Betriebswirtin. Erst seit 2 Jahren im Unternehmen als Projektleiterin tätig.
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Rolf (46 Jahre) Maschinenbauingenieur, mit 14-jähriger Erfahrung im Softwarebereich. Seit 4 Jahren im Unternehmen tätig. Vorher selbstständig als kleiner Systemeinführer für verschiedene Hersteller.
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Birgit (34 Jahre) umgeschulte Stewardess mit nunmehr schon 5-jähriger Erfahrung als Projektleiterin im Unternehmen tätig.
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Winfried (44 Jahre) Technische Ausbildung, hat sich in die Softwarebranche mit viel Eigeninnitiative eingearbeitet. Seit 8 Jahren als Projektleiter im Unternehmen tätig.
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TAxpert
Das Labor beginnt. 1. Sitzung
1. Bernd startet: "Wir sind ja von unserer Geschäftsleitung dazu verdonnert worden, die Zufriedenheit unserer Kunden mit unserer Arbeit und unseren Produkten nachhaltig zu erhöhen. Ich weiß nicht, wie das ablaufen soll, unsere Kunden sind doch hier gar nicht anwesend?"
2. Birgit: "Was soll denn das, glauben Sie wirklich, daß jemand von unseren Kunden sich auf solche Sitzungen bei uns einlassen würde. Die sagen doch, das ist euer Problem, dann löst es gefälligst auch allein!"
3. Bernd: "Wenn die Kunden nicht dabei sind, wie soll da eine gemeinsame von allen getragene Lösung erreicht werden?"
4. Rolf: "Bernd, Du hast offenbar das Ziel unserer Arbeit in dieser Gruppe noch nicht richtig verstanden. Wir sollen und können uns nicht mit unseren Kunden live auseinandersetzen, wie vor einem Gericht, um unsere Konflikte irgendwie zu lösen. Dieses Gericht gibt es nicht und auch keinen Richter. Recht in seinem Sinne hat immer unser Kunde, weil er eine Leistung bestellt hat, sie aus seiner Sicht beurteilt und dafür dann auch bezahlt."
5. Bernd: "Was sollen wir dann in dieser Gruppe hier eigentlich wirklich tun?"
6. Rolf: "Wir sollen uns mit unseren eigenen Anteilen an unseren Konflikten auseinandersetzen, um Lösungen für uns zu finden."
7. Bernd: "Und was haben wir denn davon, freiwillig hier Selbstzerfleischung zu praktizieren?"
8. Birgit: "Nennen Sie das Selbstzerfleischung, wenn ich ergründe, warum ich mit meinem Kunden in Streit gerate, was mein Anteil dazu ist und wie ich das zukünftig verhindern kann?"
9. Nun schaltet sich TAxpert ein: "Nun, es ist schon einiges gesagt worden, was mir gefiel und einiges was mir nicht gefiel. Deshalb möchte ich für mich klarstellen, was Sie von mir erwarten können und was nicht. Sie sind nicht von der Geschäftsleitung hierher zu mir abkommandiert worden, damit ich Sie irgendwie umbiege. Das will ich nicht und kann ich auch nicht. Nein, unser Vertrag miteinander lautet:
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Ich vermittle Ihnen partiell Konzepte der Transaktionsanalyse als Hilfe zum Verständnis für Beziehungen bzw. Störungen, die Sie mit Ihren Kunden haben und die nicht zur Zufriedenheit ihres Kunden ablaufen.
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Sie persönlich haben mit Ihrem Unternehmen bzw. Ihrer Geschäftsleitung ein Ziel vereinbart, nämlich die Zufriedenheit Ihrer Kunden mit Ihrer Arbeit nachhaltig zu steigern.
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Sie allein tragen die Verantwortung für die Zufriedenheit Ihrer Kunden und können in dieser Gruppe unter meiner fachlichen Anleitung Ihre Lösungen für eine Verbesserung der Beziehung zu Ihren Kunden erarbeiten."
10. Birgit: "Kann es auch sein, daß ich eine Lösung für mich finde, ohne sie hier in der Gruppe offen behandelt zu haben?"
11. TAxpert: "Ja, das ist möglich, viele brauchen nur das "Trittbrettfahren" in einer Gruppe, um zu Lösungen ihrer eigenen Probleme zu kommen. Das ist vollkommen normal und ist ein mitlaufendes Ziel der Arbeit mit TA. Da wird dann durch das Erzeugen von Transparenz in den Beziehungsprozessen durch mich selbst, die eigene Handlungsfähigkeit gestärkt und die Möglichkeit eröffnet, das Erwachsenen-Ich einsetzen zu können."
12. Nun meldet sich Winfried zu Wort: "Genug der Vorrede, nun zur Sache! Wie Sie alle wissen, bin ich kein gelernter Informatiker, sondern ich habe eine technische Ausbildung und habe mir den organisatorischen und informationstechnischen Hintergrund für meine neue Aufgabe selbst erarbeitet. Immerhin bin ich schon 8 Jahre als Projektleiter mit der Einführung unserer Systeme befaßt. Bei meinem jetzt laufenden Projekt habe ich Schwierigkeiten. Ich möchte das kurz erläutern.
Das Unternehmen hat eine selbstgestrickte Auftragsabwicklungssoftware im Einsatz, die mit Modulen Fibu, Fertigungssteuerung, QS, Materialwirtschaft etc. umringt ist, viele schöne Datenbanken, viele Abstimmprozeduren. Wir führen unser ERP-System ein und nun möchten alle möglichen Bereiche ihre Auftragsarten so im neuen System eingepflegt vorfinden, wie sie es bisher gewohnt sind. Das ist aber Quatsch, denn viele der Auftragsarten sind deckungsgleich und andere entspringen der Zerstückelung in den bisherigen Modulen. Wenn ich nun beginne denen die Vorzüge des ERP-Systems und die Integration der Prozesse zu erklären, scheinen mir alle zuzuhören. Und dann möchte die Fertigung ihre 5 FA-Aufträge haben, der Vertrieb möchte seine gebietsspezifischen Unterschiede in den 14 eigenen Vertriebsaufträgen wiederfinden und seine 3 BANFs, obwohl es die gar nicht gibt. Ich werde mit denen noch verrückt."
13. TAxpert: "Das hört sich ja dramatisch an. Als erstes ist es hilfreich, sich die Frage zu Stellen: Ist das ein rein sachliches Problem oder ein psychologisches Problem?
14. Antwortet Rolf: "Na auf den ersten Blick ist es wohl doch erst einmal ein sachliches Problem, was meines Erachten durch Sie selbst gelöst werden müßte."
15. Winfried: "Wie durch mich, wie meinen Sie das?"
16. Rolf: "Na, wenn die zig Module um ihre Auftragsabwicklungssoftware herum hatten, haben die auch zig Auftragsarten in den Modulen. Und weil der Anwender nun einmal nur ein segmentiertes Betrachtungsvermögen hat, will er "seinen" Auftrag haben, sonst funktioniert es in Zukunft für ihn nicht. Wenn Sie da etwas von Prozeßketten und Integration erzählen und der automatischen Eröffnung eines FA-Auftrages. Für die Anwender: Alles graue Theorie!"
17. Gaby: "Dann ist es aber doch nicht nur ein sachliches Problem, oder?"
18. Bernd: "Ich lerne dazu, das ist wohl auch ein psychologisches Problem. Der Mensch schafft sich eine Organisation und nutzt sie wie sein eigenes Produkt, oder sein eigenes Baby. Und nun kommt einer, der zerstört das alles, will etwas neues einführen, was sicherlich nicht so gut funktioniert, wie das Bewährte und bums, sind wir als Heilsbringer mit obendrein viel zu hohen Kosten im Abseits."
19. TAxpert: "Ja, Sie haben das "Elend" beim Namen genannt. Eine innovative Software verspricht betriebswirtschaftlichen Nutzen. Diese Sicht ist aber eine übergreifende und erschließt sich nicht dem normalen Anwender. Er sieht die Welt aus seinem Anwendungssicht. Informationstechnologische Systeme sind in erster Linie erst einmal dazu da, "Informationen" zu bearbeiten, weiterzutragen und zu sammeln. Die Prozeßorganisation, die darunter liegt, hat ein bestimmtes Ziel, zum Beispiel ein besseres Ergebnis und bedarf dazu natürlich immer der Mitwirkung von Menschen, um diese Ziel zu erreichen. Und für die Erreichung dieses Ziels bekommt der Anwender seine Anerkennung (Streicheleinheiten), nicht für die Einführung einer "problematischen" Software, die diese Anerkennung vielleicht zukünftig sogar in Frage stellt."
20. Gaby: "Heißt das, die Leute begegnen uns mit Mißtrauen und Widerstand, weil sie um ihre Anerkennung fürchten?"
21. TAxpert: "Ja, das ist so. Die Mehrzahl der Mitarbeiter in einer Organisation gewinnen ihre Anerkennung (Streicheleinheiten) aus der zuverlässigen Abwicklung von Aufträgen, Prozessen jeder Art, mit dem Ziel des versprochenen und dann erzielten Ergebnisses. Das sind die "Leistungsträger!" Ein nur kleiner Teil, sie haben viel freies Kind-Ich und werden "Neuerer" genannt, hat Lust an der Veränderung."
22. Winfried: "Aber das ist doch sehr kurzsichtig. Schließlich ist eine ERP-System eine integrierte Prozeßsoiftware, die auch noch auf einer einheitlichen Datanbasis arbeitet."
23. Birgit: "Das sind für mich ja überzeugende Argumente. Aber wer sagt Ihnen eigentlich, daß die Verantwortlichen Ihres Kunden diese Zusammenhänge wirklich voll inhaltlich verstanden haben?"
24. Winfried: "Na, das ist doch alles sehr einleuchtend."
25. Rolf: "Ich frage Sie, wie lange haben Sie gebraucht, die theoretischen Grundlagen eines ERP-Systems zu verstehen und wieviel mal konnten Sie die Zusammenhänge des Systems in der praktischen Anwendung erleben und Ihre Erkenntnis vertiefen? So viel Zeit haben Sie Ihren Kunden sicherlich nicht gegeben."
26. TAxpert: "Sie sprechen einen wichtigen Sachverhalt an. Ein Professioneller ist gegenüber seinen Kunden gnadenlos anspruchsvoll."
27. Winfried: "Was heißt das?"
28. TAxpert: "Na, wir verlangen von unseren Kunden etwas in sehr kurzer Zeit zu lernen und zu verstehen und vergessen dabei, daß wir dafür viel mehr Zeit und Möglichkeiten gehabt haben."
29. Winfried: "Aber das läßt sich doch gar nicht aus der Welt schaffen. Die können und sollen doch auch gar nicht mein Wissen haben. Sie müssen mir doch nur vertrauen, daß ich schon weiß, was richtig und von Vorteil für sie ist."
30. Gaby: "Also doch ein psychologisches Problem!"
31. Winfried: "Warum?"
32. Gaby: "Na Vertrauen zu jemanden haben sieht mir stark nach Gefühl aus."
33. TAxpert: "Das ist richtig. Welches Grundgefühl glauben Sie, spielt bei den Verantwortlichen hier die größte Rolle?"
34. Rolf: "Ich könnte mir vorstellen die Angst. Angst etwas falsch zu machen, die neue Lösung nicht richtig bedienen zu können oder daß die ganze Einführung zu einem Desaster wird."
35. TAxpert: "Sehr richtig! Sie müssen gegen die Ängste ihrer Kunden ankämpfen."
36. Gaby: "Dazu müssen wir aber erst einmal erkennen, daß unsere Kunden Ängste haben und dann noch welche!"
37. TAxpert: "Die können Sie sehr wohl erkennen, wenn Sie richtig hinschauen. Die Kunden sprechen ihre Ängste auch mehr oder weniger offen an, wenn Sie mit Ihnen streiten. Worte wie: Ich befürchte..., oder dann passiert bestimmt das..und dann sind wir angeschmiert, um nur einige Beispiele zu nennen, sind Zeichen für deren Ängste."
38. Winfried: "Das hört sich für mich so an, als wäre unsere Einführungsphase so etwas wie unser "Kreuzzug gegen die Angst".
39. TAxpert: "Das ist zwar recht drastisch ausgedrückt, trifft aber die Sache im Kern. Die dritte Kommunikationsregel lautet ja verkürzt ausgedrückt: Gefühl geht vor Sache. Wenn Sie sich darüber klar werden, daß die künftigen Anwender zu Beginn des Einführungsprozesses eine sehr große Angstsäule haben, sehr unterschiedlichster Ängste, wie Angst dumm zu wirken, die Komplexität nicht zu verstehen etc. dann besteht Ihre Aufgabe darin, diese Ängste zu erkennen und sie gezielt zu zerstreuen."
40. Winfried: "Das heißt aber, wir müssen uns das Vertrauen erst erwerben?"
41. TAxpert: "Ja, das heißt das. Wenn jemand Vertrauen in Sie hat, dämpft das seine Angst. Und Vertrauen hat jemand nicht so ohne weiteres in einen anderen. Es müssen schon Vertrauensbeweise her."
42. Gaby: "Kann die Software diese Funktion nicht übernehmen."
43. TAxpert: "Das kann sie nur begrenzt. Selbst bei einer bekannten ERP-Software eines großen deutschen Herstellers tritt dieser Effekt immer wieder auf. Deshalb verlangen die Kunden auch immer wieder nach Referenzen."
44. Gaby: "Unsere Software kennen unsere Kunden zum Anfang ja gar nicht. Dieses Mißtrauen ist dann völlig normal?"
45. TAxpert: "Ja natürlich. Vertrauen in einen anderen haben heißt die eigene Selbstverantwortung zurückzunehmen und sich der Fremdverantwortung durch Sie zu unterwerfen."
46. Rolf: "Wenn ich das richtig verstehe, ist das Mißtrauen unserer Kunden aus ihrer Sicht eine vollkommen normale Sache?"
47. TAxpert: "Ja, so ist es! Es ist Ihre Aufgabe durch vertrauensbildende Maßnahmen das Vertrauen in Ihre Kompetenz und die Funktionstüchtigkeit Ihrer Software zu gewinnen."
48. Rolf: "Gibt es da auch Ausnahmen, ich habe zum Beispiel einen Verantwortlichen bei meinem Kunden, der immer sehr skeptisch ist?"
49. TAxpert: "Ja, das gibt es. Es gibt Menschen, die sind von Beruf aus sehr mißtrauisch und haben grundsätzlich immer an allem etwas auszusetzen. Das ist eine Masche mit der Bezeichnung "Nörgler". Aber es hilft nichts, auch diese Menschen müssen Sie mitnehmen."
50. Birgit: "Was sind denn solche vertrauensbildende Maßnahmen?"
51. Bernd: "Ich könnte mir vorstellen, daß das organisierte Spielen im Sandkasten dazugehört. Oder auch eine Demonstration der Prozeßkette mit einem Testbeispiel."
52. TAxpert: "Sie sehen, auch wenn es den ersten Eindruck hat, es wäre ein sachliches Problem, wird das psychologische Problem gleich frei Haus mitgeliefert. Und das bestimmt die Gemütslage Ihrer Kunden.
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